Silver Sounds of Silence: 9

The Silence of the Times

Immer is was, meinte schon die ob ihrer seltenen, dafür umso treffenderen Wortspenden berühmte Hausperle meiner Grossmutter. Und genau so ist es. Die Zeiten werden schlicht nicht besser, die gefühlte Aussicht: beständig abwärts. Ein Katastrophenszenario schmiegt sich an die nächste, nüchtern betrachtet trotzdem nach Niedergang des Abendlandes riechende Entwicklung. Immer is was. Nicht nur die im Dauerfeuer üble Nachrichten verlautbarende mediale Tiefdruckatmosphäre schreit, auch der Tenor im Netz flüstert zwischen Katzenbildern und Coffeemaker-SloMo-Videos: Mir schwant Übles. Das Unterbewusstsein musste sich schon seit geraumer Zeit mit diesem widerlich klebrigen, der Halbwertszeit nuklearen Abfalls gleichenden Bedrohungsgefühl Traumgefechte liefern. Teenage Angst mutiert seit dem Krieg, der Inflation und der Energiekrise zu Global Paranoia. Zu Recht? Ehrlich gesagt, ich weiß es nicht.

Ich wünsche mir, dass mal kurz (gern auch etwas länger) die Zeit stillsteht. Dass sich das Rad nicht immer weiterdreht. Dass sich das Schicksal nicht noch mehr verdichtet, dass der Wahnsinn unserer Zeit mehr einer Warnung gleicht, denn in Richtung The End zeigt.

Im Wahnsinn liegen ja der Wahn und der Sinn. Im Wahn finden manche heutzutage durchaus einen attraktiven Weg: Jene, die glauben, sich eine andere Realität wählen zu können, etwa durch hedonistische Flucht in den Eskapismus ihrer Wahl (nach dem Motto Sex, Drugs und Serien), durch nahezu bewundernswerte Ignoranz (Urlaubspläne machen wie immer) oder durch das Kreuzchen am Wahlzettel bei einer jener Parteien, die eine himmelblaue Zukunft ohne realistischen Plan dorthin versprechen. Flucht, Ignoranz und Kampfwahlstimmung verleihen einer ehrenhaften Anwandlung, nämlich der Wirklichkeit trotz allen Wahnsinns ein positives Lebensgefühl abringen zu wollen, durchaus eine Art von Sinn, weil eine andere sinnliche Qualität des „in der Welt zu dieser Zeit-Seins“. Mir wäre allerdings lieber, wenn der Wahnsinn unserer Zeit anstatt zu wahnhaften Kopf in den Sand-Aktionen, zur sinnvollen Evolution beitragen würde, also zu Entscheidungen führen könnte, die die Überlebenssicherheit, die Lebensqualität, die globale Einigung nachhaltig voranbringen.

Überblick, Vogelperspektive, Zeitlosigkeit: Generalist*innen gesucht

Wo ist der analytische Blick aufs Große Ganze unserer Zeit? Ein Blick, der die Krisenszenarien schonungslos und punktgenau beim Namen nennt und ein logisch nachvollziehbares Bild der Interkonnektivität derselben formuliert, das in seiner Gesamtheit zuallererst Sinn macht, statt Angst und Wahn zu schüren? Betroffenheit: ja. Verständnis: ja. Verantwortung: ja. Diffuses Gefühl von Damoklesschwert und entsprechende Ersatzhandlungen: nein, Danke.

Dass Klima, Krieg, Energie, Ressourcen, Inflation, Lieferketten, Migration, Rechtsruck etc. ihre Gründe haben und in ihrer Existenz aufeinander in unterschiedlichen Zusammenhängen einwirken ist klar. Dass es nun gemeinsam an strategisch wirksamen Stellschrauben (wohl eher riesigen Lenkrädern) zu drehen gilt, durch die der in seiner Vernetzung massiv gewordene Abwärtstrend  verlangsamt – oder gar umgekehrt – wird, ist vielen scheinbar weniger klar. Vor allem, was das für systemischen Wandel, für individuelles Umdenken bedeutet und für politischen Willen bedarf. Die Menschheit will nicht sehen, denn wenn sie hinsieht befürchtet ein Gutteil, die Apokalypse zu erkennen. Es fehlt an einer großen, wirklichkeitskonformen und positiven Zielformulierung von Wo soll uns das alles hinführen?. Übler- und üblicherweise folgen auf die Frage Wo soll uns das alles bloß hinführen? beklommenes Schweigen und beklemmende Dystopien des Zerfalls, die sich wie von selbst vor die innere Mattscheibe manifestieren. Sie schwimmen dort im panik-vorhallenden Stillen umher, schwirren um uns herum, planschen vergnügt im Meer von Immer is was.

Apokalypse versus Hoffnungsschimmer

Kerzen und Dosenfutter mal kurz beiseitegelassen, Plan B für den Winter (Thermowäsche, Haube, fingerlose Handschuhe fürs Home Office bei 15 Grad) zum Trotz: Möge sich das Meer der negativen Erwartungen in den Köpfen einiger öffentlich wahrnehmbarer menschlicher Leuchttürme teilen und mit diesen ein, wenn schon nicht sonnenbestrahlter, so doch realistisch hoffnungsschimmernder Weg freigegeben werden, den man gehen -und wählen- kann!

Der Überlebenskampf kann uns heute zum dritten Weltkrieg führen, zu 2 Wochen Blackout oder zur Bildung der United Global Community. Was darf‘s denn sein, Gnä‘ Frau/Gnä‘ Herr?

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Silver Sounds of Silence: 5

Magischer Krach

Die allermeisten Geräusche, die man nicht selbst macht, sind doch irgendwie störend. Zumindest, wenn man gerade schlafen oder arbeiten will. In der Stadt murmeln Schanigartenbesucher bis spätnachts und grölen von irgendwo Übiggebliebene bis in die Früh hinein. Untertags der Baulärm, der Straßenlärm. Zwischendurch mal Starkwind, der an den Nerven rüttelt oder kopulierende Nachbar*innen, die viel zu lange durchhalten. Es gibt natürlich Geräuschkulissenausnahmen, die quasi eine Green Card zum Krachmachen haben. Vögel zum Beispiel. Gezwitscher darf immer sein, Insektengesumme hingegen nur von Bienen, nicht von Fliegen oder gar Gelsen. Frösche sind auf Kurzurlaub ganz nett, Anraine*innen sehen das wohl anders. Hundegebell geht gar nicht, dort wo gar noch Hähne krähen, stellt man am besten sein ganzes Leben darauf ein.

Stille in der Stadt stellt jedenfalls eher eine Ausnahme dar. Vom Land kann ich zwar kein substanzielles Lied singen, in touristisch attraktiven Gegenden übertönen aber erfahrungsgemäß ebenso das Motorboot- und Motorradgeheule, die Gastro und Entertainmentmeilen oder die Menschenmassen selbst jeden heißersehnten Urlaubsfrieden. Eine städtische Ausnahme sind jedoch Sonntagvormittage, sie klingen ganz eigen. Wenn am Sonntagmorgen mal ein Auto vorbeifährt, dann langsam, fast behutsam, jedenfalls angenehm: kein Gebremse, kein Gasgeben, mehr so vor sich hin tuckernd. Seltsamerweise schnattert an Sommersonntagen seit Jahrzehnten ein Hubschrauber vorbei. Ok, in Ausnahmefällen wie am Tag eines Stadtmarathons, schrammeln elend viel mehr Hubschrauber im Himmel herum.

Worauf ich hinauswill? Stille ist kostbar. Der Alltag ist akustisch tendenziell zugemüllt. Doch es gibt überraschende Ausnahmen, etwa den Deathmetal hörenden neben-mir-Strassenbahn-fahrer, den genau der Krach (was über die Kopfhörer nach draußen dringt ist nur mehr extrem schnell pulsierendes weißes Rauschen), offenbar zur Gänze tiefenentspannt. Ich nehme das Phänomen also mit meinen Empathiefühlern näher unter die Sinneslupe. Ein Körper, drunter muskulös, drüber etwas speckig, wie von zu viel Stressfutter. Ein leicht vom Schweiß der Lohnarbeit glänzender, leicht geröteter, potenziell schneller zum Cholerischwerden neigender Kopf. Ein obligatorisches schwarzes T-Shirt mit austauschbarer/m Schrift/Bild, Khakis, Tunschuhe – nichts Neues im Außen. Aber sein Gefühlsleben – das war Zen pur. Die Augen geschlossen, der Atem ruhig, inmitten des größten Krachs der Musikgeschichte. Hut ab. Lautstarkes Unbeschreibliches kann tatsächlich spürbar vollkommene innere Ruhe erzeugen. Der Friede seines ganzen Wesens strahlte dann auch stärker in die Umwelt hinaus als der Lärm aus den Kopfhörern den eng Umstehenden unangenehm gewesen wäre. Ein schlichtes Wunder des Alltags.

Ruhe durch Lärm

Ich beginne also, meine in diesem Jahr via dieses Blogs gestartete Lobeshymne auf die Stille zu überdenken. Stille scheint nicht der einzige akustische Weg zum Seelenfrieden zu sein. Ich tauche ein in diesen Gedankengang, erinnere mich an Kindheitstage, an Sonntage und an das eigentlich aufreibende, weil auf ständig Vollstgas beschleunigende Gedröhne der Formel Eins Fahrer. Aber dieser Aufgeregtheit entgegenstand, dass es Sonntag war, die Familie gerade nichts zu tun hatte, die Zeit selbst ein Schläfchen machte. Wiewohl die scheinbar ewig dauernden Runden irgendwann mal zu einem Ende kommen würden – während ihres Gedrehes war Friede in der Hütte. Dieses sonntägliche Gefühl überkommt mich heute noch, wenn ich Formel Eins-Motorgeräusche, das Schalten und die dazugehörigen, in diesem eigenartig überhöhten Pseudoaufregungston darüber kommentierenden Stimmen höre. Eine Geräuschkulisse, wie gemacht für mein persönliches Spa-Gefühl, auch an Nicht-Sonntagen. Er hat Deathmetal, ich habe Formel Eins. Nicht, dass ich jemals bewusst Sport einschalte, doch wenn es irgendwo geschieht, passiert er wie eine angenehme Überraschung, dieser nostalgische Moment, in dem die Zeit stillsteht. Für andere sind es sicherlich andere Geräusche, die diesen Zustand auslösen, je nach Prägung. Eigentlich laute, verstörende Geräusche, die aber eben keine Irritation bedeuten, sondern ganz im Gegenteil Entspannung verursachen.

Geräuschmoral der Geschichte

Was wäre, wenn die Konnotation von Krach, sei er technischer Natur, tierverursacht oder menschengemacht, keine negative sein müsste. Das ständige Geklapper des nachbarschaftlichen Gartentors, das Kindergebrüll oder der auf Dauerbetrieb die Umgebung beschallende Fernseher keine Belästigung sein müssten? Wenn sie weder inneren Aufruhr, noch den Griff zum eigenen Lautstärkeregler oder zu den Ohrstöpseln triggern würden, sondern… inneren Frieden? Wunschdenken? Ich werde mich jedenfalls im Uminterpretieren üben, mal sehen was rauskommt.

Significant Soul Sample No 2: Das All(es) knistert

Manchmal ist alles eins

Miteinander verbunden

Du weißt wer anruft

Antworten auf Fragen

Ergeben sich von selbst

Du fährst auf der Straße

Ein Plakat spricht mit Dir

Du lachst über den Sinn

Der sich von allein ergibt

Wenn das Universum knistert

Ist alles gut, schön, frei

Frisch und fröhlich

Nicht weil es easy wäre

Leichtigkeit ist Nebenerscheinung

Wenn alles so sein darf wie es ist

Freude ist Grundzustand

Wenn alles unberührt bleibt

Die Natur der Dinge

Offenbart sich von allein

Ohne Zutun und Wegnehmen

Was ist, das ist

Nicht so wie Du denkst

Nicht so wie Du fühlst

Nur so wie es ist

Grundlos, grenzenlos

Knistert es, Dein Universum

Sunny Side Step 7: Summerbreak

Abenteuersuchen – Abhängen – Anbandeln – Aufwachen – Bereitsein – Biertrinken – Buntwerden – Chaosfördern – Dankbarbleiben – Einfachdasein – Erfüllungerfahren – Faulenzen – Flanieren – Flowen – Freiheiterleben – Freundetreffen – Friedenfinden – Geniessen – Gernhaben – Grandiosfühlen – Grillen – Herzen – Highohnegrundsein – Hoffen – Inskaltewasserspringen – Inspirationspüren – Jammen – Künstlerrauslassen – Ko(s)mischfinden – Lachen – Leben – Leerwerden – Lieben – Loslassen – Lustigfinden – Maulfaulsein – Meersehen – Mildwerden – Musikerindirzuwinken – Neuesausprobieren – Nichtstun – Offensein – Panzerfallenlassen – Rasten – Reinkippen – Ruhenichtverscheuchen – Schlafenkönnen – Schwimmengehen – Seelenbaumeln – Spielen – Sternschnuppenzählen – Strahlen – Talentezeigen – Träumen – Trostspenden – Tunwasspassmacht – Verliebeninsleben – Wohlwollen – Zerkugeln – Zufriedensein – Zulassen

Wie sieht Dein Wort-Rorschachtest zum Sommer aus?

Denk an Sommer, schreib drauflos, lass die negativen Assoziationen weg und Dich vom Ergebnis inspirieren…

Sunny Side Step 4: Echte EuropäerInnen gesucht

Die etwas andere Europa-Wahl

Wo sind sie, die „echten EuropäerInnen“? Wir suchen sie!

Wer geht voran in eine lebenswerte, krisenfeste, hoffnungsfrohe und gemeinsame Zukunft? Wer tut dies aus Überzeugung und nicht aus Selbstnutz? „Wer kommt und kettet sich die Welt ans Bein?“, wie es im Song „Deine Zeit“ von Seeed so schön heißt… Wir wollen Euch kennen lernen, noch weiter vor den Vorhang holen und so richtig schön hoch leben lassen und schwer Wert schätzen: Menschen, die Ihr ein Leben lang für grenzüberschreitende Gerechtigkeit eintretet, für friedliche Vielfalt sorgt, für Verständigung zwischen den Welten plädiert, Brücken zwischen den Gräben baut: Meldet Euch! Denn wir von Europe:United wollen Euch Danke sagen – und Euch einen schönen Preis verleihen.

Rolemodelling The Future

Wir brauchen Euch ganz dringend, die Ihr vorangeht in eine mögliche gute Zukunft, die Ihr vormacht, wie das Miteinander gelingen kann, die Ihr vorlebt, was eine gesunde Gesellschaft sein kann, wie sie funktionieren und aussehen kann und vor allem: wie sie sich anfühlen kann. Wir brauchen Euch, die Ihr zeigt, was geht, wenn man nur will. Die Ihr seid, was es braucht. Was wir brauchen. Klar, geradlinig, ehrlich und offen, verletzlich und durchsetzungsstark, streitbar und diskurswillig, visionär und kreativ, verantwortungsvoll und tatkräftig, schützend und stützend, fördernd und fordernd, funny und verrückt. Wenn Ihr Euch Europa zur Herzensangelegenheit macht, wenn Ihr Europa schon ein gutes Stück mitgeformt habt, in Eurer Lebenswelt, spürbar für andere, dann seid Ihr reif für den…

…European Of The Year!

Am 10 Dezember 2019, am Tag der Menschenrechte, ist es soweit: Der „European of the Year“-Award wird von Europe:United – Organisation für ein Menschliches Europa (www.europeunited.eu) zum zweiten Mal verliehen.

Worum geht’s in aller Kürze? Um herausragendes zivilgesellschaftliches pro-europäisches Engagement. Die in Sachen Menschlichkeit höchst engagierte Jury besteht aus Katharina Stemberger und Florian Eder, Erich Schleyer und Alexander Göbel. Sie wird aus den Einreichungen die/den diesjährige/n PreisprägerIn auswählen. Eure Vorschläge für den/die European of the Year 2019 können bis zum 09. November 2019 eingereicht werden. Einfach ein Email senden an: office@europeunited.eu.

Geehrt wird der/die PreisträgerIn übrigens mit der wunderschönen Skulptur, die im Bild zu sehen ist: Kunstprofessor Stephan Fillitz und Kommunikationsdesignerin Catherine Rollier haben die außergewöhnliche und aus allen Richtungen perfekt ausgewogene Plastik gestaltet.

Die Preisverleihung am 10 Dezember wird dann auch ein richtig schönes Fest: Für den großartigen Menschen, der den Preis verdient. Mit den wunderbaren Menschen, die sich mit uns freuen. Und für die Menschheit, die von einer echten Entwicklung Europas, nämlich in Richtung Menschlichkeit und Umsicht, am allermeisten hat…

Sunny Side Step 3: Mehr Mensch – Mehr Leben

Das Wunder Menschlichkeit

Jeder von uns hat eine persönliche Sammlung an Erlebnissen, die uns unter die Haut gehen. Im besten aller Sinne. Erlebnisse, in denen Menschen uns unvermutet gut getan oder uns nahe gekommen sind – oder in denen wir anderen tiefe Verbundenheit vermittelt haben. Solche Augenblicke der Menschlichkeit haben etwas gemeinsam: es geht in ihnen nicht um konventionelle Höflichkeit, nicht um professionelle Dienstleitung, nicht um reine Verhaltensgewohnheit, nicht um Charity und sie sind auch nicht auf den Familien- und Freundeskreis beschränkt. Wundervolle menschliche Begegnungen holen uns aus dem Alltag, aus jeder Mühsal und aus unserem Fokus auf das zu-Erledigende heraus und reconnecten uns mit uns selbst, mit anderen, mit Unbekannten und Unbekanntem.

Menschlichkeit verbindet

Menschlichkeit vereint uns in der Tat, egal wie unterschiedlich wir sind. Wir erkennen gelebte Menschlichkeit an einer gewissen Präsenz, am Da Sein, am wachen Aufmerksamsein, an der Wertschätzung, an der respektvollen und einfühlsamen Begegnung auf gleicher Ebene, an dem Nichts-dafür-Wollen, also an der Erwartungslosigkeit, an der Selbstlosigkeit, an einer unverkrampften Selbstverständlichkeit, am Einssein mit dem, was gerade ist, und natürlich am wirksamen Tun – auch wenn es bedeutet, nichts zu tun, jemandem vielleicht nur in die Augen zu sehen, zuzuhören oder eine Hand hin zu halten.

Momente der Menschlichkeit machen das Leben erst lebenswert

Aber reife Menschen und mitmenschliches Verhalten sind leider keine Selbstverständlichkeit. Oft wird beklagt, dass es früher viel besser war, dass sich früher die Menschen noch zu verhalten wussten. Menschlichkeit darf aber m.E. nicht mit dem „richtigen“ Verhalten, mit rein äußerlicher, erlernter Höflichkeit und Angepaßtsein verwechselt werden. Die heutige Welt verlangt weit mehr. Die wechselhaften Lebensumstände und die vielen Möglichkeiten, sich in verschiedenen Umwelten aufzuhalten, verlangen von jedem Menschen sein persönliches Verhältnis zu sich, zu anderen und zur Umwelt zu entwickeln. Und zwar immer wieder neu. Wir alle brauchen ein tief empfundenes, für uns selbst wahres, eigenes Verständnis von etwa Respekt und Gleichbehandlung. Konventionen sind aus dieser Sicht quasi der Vorläufer des friedlichen Miteinanders. Menschlichkeit ist lebendiger als die Konvention, flexibler und stabiler zugleich: Es ist die bewusste Form und Fähigkeit, auch in den schwierigsten Umständen bei sich zu bleiben und eine Verbindung zu anderen herzustellen. Wer sich auf sich verlassen kann, weil er sich gut kennt, kann sich auch ein Stück weit verlassen, um sich dann auf andere tatsächlich einlassen zu können – und zwar ohne stets nur seine Sichtweisen und die eigene Geschichte überall zu sehen und auf jeden drüberzulegen, also ohne seine ungelösten Fragen und Themen auf alle anderen zu projizieren, um sie im Bestenfall im Diskurs erst zu erkennen.

Gelebte Menschlichkeit könnte das Ende von Kulturkämpfen bedeuten…

…und den Anfang einer Weltgesellschaft. Weil sich in jeder Verschiedenartigkeit das Menschliche finden lässt. So weit möchte ich gerne denken und so eine Entwicklung möchte ich gerne fördern. Als Herausgeberin dieser beiden Bücher habe ich ein Ziel vor Augen: Eine gelingende Gesellschaft, bestehend aus reifen Menschen. Die Reifung des Menschen geschieht ja sowieso im Umgang mit seinen Mitmenschen. Vorbilder, Regulative, Spiegel – wir können alles Mögliche für unsere Mitmenschen sein. Aber eines steht fest: wir lernen voneinander und miteinander, in der Begegnung, im Tun und Sein. Das ist vielleicht sogar die effektivste Art zu lernen. Unser Umfeld prägt uns und wir prägen es.  In dem Moment, wo ein Mensch die Verantwortung für den Umgang mit sich selbst und anderen übernimmt, kann es losgehen. Jeder kann mithelfen, ein Umfeld zu schaffen, in dem Menschen miteinander reifen können.

Um ein gesundes Umfeld zu gestalten, brauchen wir heute keine blutige Revolution, wie es früher zur Zeit der Aufklärung vielleicht notwendig war. Vielmehr brauchen wir eine sanfte aber beständige Evolution der Menschlichkeit, um in einer rundum lebenswerten Welt anzukommen

Die Evolution der Menschlichkeit

Genau vor 2 Jahren, im März 2017, kam „Die Evolution der Menschlichkeit“, ebenfalls im Braumüller Verlag und unter dem Schirm des DRI – Human and Global Development Research Institute, heraus. Es ist ein grundlegendes Werk, in dem sich 20 WissenschaftlerInnen und PraktikerInnen mit der Entwicklung von Mensch und Gesellschaft hin zu mehr (Mit-)Menschlichkeit auseinandersetzen. Im Nachwort kündigten wir eine vertiefende und vor allem praxisorientierte Fortsetzung an. Und nun ist es soweit: „Die Bildung der Menschlichkeit“ lehrt ein Leben der emotionalen Intelligenz, der sozialen Kompetenz, der Selbstverantwortung, der Reflexionsfähigkeit, des Handlungsspielraums im Angesicht des Unerwarteten und auch Unangenehmen – eben der menschlichen Reife. Wir brauchen heute ganz bestimmte Kompetenzen, um mit den ständigen Unterbrechungen und unplanbaren Veränderungen anders umzugehen, als gestresst zu sein und in die Abwehr, die Ignoranz oder den Kampf zu kippen.

Auch unsere Lebenswelt, das gemeinsame Europa, braucht reife Menschen 

Wir brauchen europäische BürgerInnen, deren Identitätsverständnis und Verantwortungsbewusstsein über die althergebrachten und gewohnten Grenzen hinausgewachsen ist. Und nicht nur im Sinne Europas, auch im Sinne der hoffentlich werdenden Weltgesellschaft meine ich: Wir alle wollen gesehen und behandelt werden als der Mensch, der wir tatsächlich sind. Wir wollen nicht mit unserer Schale, dem Äußeren verwechselt werden. Wir wollen nicht als Klischee eines Geschlechts oder Alters, als Stereotyp einer Hautfarbe oder Berufes, mit den Vorurteilen eines Herkunftslandes, einer Sprache oder an Hand von Kleidung oder Besitz beurteilt und behandelt werden. Nicht die Vorstellung von jemandem zählt, sondern der Mensch hinter aller Äußerlichkeit. Jemanden aber überhaupt so sehen zu können, durch die Äußerlichkeit aber auch durch die eigenen inneren vorgefertigten Schablonen hindurchsehen zu können, braucht menschliche Reife. Eine reife Gesellschaft, die friedlich in aller Vielfalt leben und miteinander wachsen möchte, braucht reife Menschen, die allzeit bereit und dazu in der Lage sind, zu sich zu finden und über ihre Vorannahmen hinauszuwachsen.

Was brauchen wir also, um diese Entwicklung anzustossen und zu fördern

Einen breit angelegten Reifungsprozess mit Hilfe ganz bestimmter menschlicher Kompetenzen, die man lernen kann und lehren sollte – und zwar geht das vom Mutterleib bis zum Sterbebett. Es ist nie zu früh und nie zu spät für mehr Menschlichkeit. Mit unserem Buch liefern wir daher Lern- und Lehrinhalte für alle Altersstufen und viele Lebenslagen – für sich selbst und für andere. Wie beim ersten Buch haben sich wieder gut 20 AutorInnen zusammengefunden um in „Die Bildung der Menschlichkeit“ Auszüge ihres großen Erfahrungsschatzes und ihrer besten Übungen und zur Verfügung stellen. Ob der Fülle des Materials und mit Blick auf die Ausrichtung an allen Lebensphasen, sind es letztlich zwei wunderschöne Teile geworden:

Teil I, „Die Bildung der Menschlichkeit für junge Menschen“…

…beleuchtet das Menschwerden von der Kindheit über die Jugendzeit bis zum beginnenden Erwachsenenalter, kurz gesagt von ca. 3-18 Jahren. Die Beiträge bieten praktisches Material für den Kindergarten und die Schulzeit und richten sich besonders an PädagogInnen und Menschen, die mit Kindern und Jugendlichen der Elementar-, Primar- und Sekundarstufe arbeiten – und natürlich auch an Eltern. Die Lehrmaterialien können direkt im pädagogischen Umfeld angewandt werden. Die AutorInnen sind selbst erfahrene PädagogInnen und ExpertInnen und stellen best practise Beispiele, wirksame Übungen und bewährte Methoden zur Verfügung.

Teil IIDie Bildung der Menschlichkeit für Erwachsene“…

…befasst sich mit dem Menschsein im Erwachsenenalter. Die Beiträge liefern praktisches Material zur Bildung von (Mit)Menschlichkeit im Bereich humanitäres Engagement und Freiwilligenarbeit, in der Eltern- und Erwachsenenbildung, im Medienkontext, für den Umgang mit sich und anderen im Arbeitsleben, für effektives Selbstcoaching in kritischen Lebensphasen bis zum Umgang mit dem Sterben und mit Sterbenden. Auch hier bieten renommierte ExpertInnen und PraktikerInnen ein „Best of“ ihrer bewährtesten Methoden, Einsichten in die Essenz ihrer Lebens- und Arbeitserfahrung und natürlich eine Vielzahl praktischer und spannender Übungen. Letztere eröffnen effiziente Wege zum Selbststudium, für den Umgang mit sich und anderen in heiklen Lebensphasen, und im Trainings- und Bildungsbereich. Hierin legt der große Unterschied zu Teil I, der sich eher an PädagogInnen und Lehrende richtet. Teil II ist vollgepackt mit Material für jedermann und jede Frau, die mehr Menschlichkeit, eine bessere Verbundenheit zu sich, zu anderen und zur Umwelt erleben und leben will. Die Themen sind auch hier nach Lebensphasen geordnet und reichen von der vorgeburtlichen Phase über den menschlichen Umgang mit Kindern und Jugendlichen im oft anstrengenden (Eltern-)Alltag, über mediale Verantwortung und die Bildung von interkultureller Kompetenz hin zur Achtsamkeit in der Arbeitswelt und zur Reifung des Selbst. Besonderes Augenmerk wird der Menschlichkeit an Hand der Herausforderungen ab der Lebensmitte, etwa mit dem Altern oder der Pensionierung, sowie am Lebensende gewidmet.

Wir wünschen Euch viel Spaß beim Lesen, beim Leben und beim Schenken :-)!

Und hier geht’s direkt zum Kuppitsch (mit versandkostenfreier Lieferung): https://www.kuppitsch.at/list?quick=nana+walzer&cat=&sendsearch=suchen

 

SPECIAL SCREEN SCRIPT 19: Improvisation als Inspiration

Der Unterschied zwischen Genie und Pfusch

Im allgemeinen Sprachgebrauch versteht man unter „improvisieren“ einen Akt der kreativen Problemlösung ohne dabei professionelle Materialien bzw. Techniken zu verwenden oder überhaupt eine tiefere Kenntnis der Materie zu haben. Wenn etwa der Waschmaschinen-Schlauch ein Loch hat, dann wird er mit Klebeband umwickelt, statt fachgerecht ausgetauscht. (Ja, ich spreche aus Erfahrung ;-)).

Die Elemente Spontaneität und Kreativität als Antwort auf einen unvorhergesehenen, unerwarteten Auslöser sind hier zwar auch vorhanden. Dennoch unterscheidet sich das „Pfuschen“ von der „Kunst der Improvisation“ in drei wesentlichen Aspekten: nämlich in der Kunstfertigkeit, in der Einzigartigkeit und in der Nachhaltigkeit der Problemlösung. Im besten Fall entstehen nämlich aus ursprünglich ungeplanten, spontan entstandenen neuen Wegen ganz neue Regelformen, also ein neues System oder eine neue Machart – zum Beispiel Innovationen in der Technik oder auch eine neue Musikform. Der Jazz ist ein Paradebeispiel für eine solche Entwicklung aus der recht starren Form der Klassik in einen hochprofessionellen Kreativraum, der ungleich mehr Spielmöglichkeiten für einen Musiker aber auch zwischen den Musikern zulässt.

Jazz als Kunstform 

Gerade Jazzmusiker müssen zunächst Meister ihres Instrumentes sein und verschiedene Musikstile meisterhaft beherrschen. Hier wird eben nicht mehr „vom Blatt“ gespielt. Es werden in der hohen Kunst des Jazz nicht nur bereits vorgegebenen Formen möglichst präzise und fein wiedergegeben. Natürlich kennt der Jazz ganz viele Regeln, wie Stilformen, Rhythmen, Spielweisen und Interaktionsweisen. Aber diese müssen vollständig internalisiert, also beherrscht werden, um sich zu jenen einzigartigen Momenten hochzuschwingen, in denen „alles fließt“ und daraus, darüberhinaus Neues, noch nie Gehörtes entstehen kann. Miles Davis war ein Vorreiter im „anders spielen“, im Verändern der Gebrauchsweise einer Trompete oder der Hörgewohnheiten des Publikums und des musikalischen Zusammenspiels mit anderen Musikern. Man sagt, dass er alleine die Musikwelt etwa 4x revolutioniert hat (Bebop/maximale Virtuosität, Cool Jazz, Modaler Jazz, Fusion). Seine Soli und Spielweisen waren so ungewöhnlich, dass auch die Mitmusiker zum Grenzgang ihrer gewohnten Spielarten aufgefordert wurden. In seinem Umkreis entwickelten viele Größen ihre musikalische Persönlichkeit, etwa John Coltraine, Herbie Hancock, Joe Zawinul oder Chick Corea.

Was uns der Jazz lehren kann

Das Genie, das sich im spontanen Kreieren von Neuem zeigt, beeinflusst naturgemäß auch seine Umgebung. Solche Menschen und Augenblicke veranlassen aber nicht nur andere Musiker dazu, über sich selbst hinauszuwachsen. Ich behaupte, dass etwas Ähnliches in diesen Momentan auch beim Zuhörer geschieht: In diesem erlebten Freiraum, in dem ganz frische, ungeahnte Perspektiven spürbar werden, wird dem Publikum bewusst, dass es noch viel mehr zu erleben und zu entdecken gibt als bisher angenommen. Dass die Welt immer noch voller Überraschungen steckt und wir uns neugierig aufs Abenteuer der Entdeckungsreise einlassen dürfen…

Im besten Fall inspiriert uns ein solches Erlebnis noch weit nach dem Musikgenuss. Etwa dahingehend, dass wir Problemen auch mal völlig anders auf den Leib rücken wollen. Irritationen aller Art in Innovationen aller Art zu verwandeln – der Wille dazu ist, was unserer Welt heutzutage vielfach fehlt. Um diese Kunst zu wirken braucht es reife Menschen, die ihren Körper wie ein Instrument beherrschen und die die Systeme der Welt (etwa Wirtschaft, Politik oder Bildung) so verinnerlicht kennen wie Musiker ihre Musikstile – um über sie hinauszuwachsen. Sie können dann Irritationen, die in ihrem System auftauchen, in ihrer Intensität vollständig wahrnehmen und offenen Auges in ihren Ursache-Wirkungs-Verhältnissen erkennen. Sie können Querverbindungen zu anderen Systemen herstellen und Zusammenhänge sehen, wo andere im Dschungel der jeweils systeminternen Prinzipien verloren gehen. Und sie können an den Systemen selbst arbeiten, sie verknüpfen oder neu ausgestalten, anstatt in ihnen unterzugehen. Genies der alltäglichen Lebenswelt suchen den Raum des Neuen im Konzert des Gewohnten, gern auch im Chaos am Rand des Kommenden, Werdenden.

Die Kunst der Improvisation im Alltag 

In einer Jazzband gibt es klar zugewiesene Rollen, eine klare Arbeitsteilung, die durch die Eigenarten der Instrumente bedingt sind. Das Schlagzeug kann keine Melodien spielen, dem Bass gehören die tiefen Lagen, beide bestimmen den Rhythmus. Die mittleren Instrumente wie Piano oder Gitarre mischen sich nicht allzusehr in diesen Grundpuls ein, sondern unterstützen ihn oder setzen passend zum harmonischen Grundgerüst Akkorde, etwa als Synkopen. Das klingt kompliziert ist aber höchst spannend: denn es werden bewusst die zunächst erwarteten Muster vermieden und immer wieder neue rhythmische Modelle aneinandergefügt. Das Spiel ist dann passenderweise betont unlinear und auf Überraschung ausgelegt. Nicht nur rhythmisch sondern auch harmonisch. Das wiederum stimuliert weiters die Solisten in der Höhe, etwa Sänger oder Trompeter. Sie liefern  darauf aufbauend die durchgängigen Linien, die Melodien, welche letztendlich allen Instrumenten „darunter“ einen sinnvollen roten Faden verleihen.

Sind etwa Teams in Unternehmen derart auf ihre Fachgebiete und aufs virtuose Zusammenspiel eingestimmt, so herrscht eine überaus seltene und wertvolle Performance- und Improvisationskultur. Es werden individuelle und kollektive Höchstleistungen erbracht und die gegenseitige Stimulation führt immer wieder zu den notwendigen Neuerungen. Apple war lange Zeit ein führendes Beispiel für eine solche Funktionsweise des Sich-selbst-Übertreffens und immer wieder neuen Raum Eroberns.

Unique-ness als Schlüssel

Das Ziel des Jazz liegt meiner Ansicht nach im Schaffen und Erleben von „unique moments“ – und die besten Firmen erzeugen einzigartige Produkte, während die Mitarbeiter den Schaffensprozess selbst leidenschaftlich gestalten, weil sie sich und ihre Fähigkeiten optimal einsetzen können.

Ganz allgemein gesagt können wir Menschen aus dem Jazz lernen, dass Meisterschaft in einem Bereich erst der Anfang für wahre Größe ist, denn danach gilt es, sich über die Regeln so hinwegzusetzen, dass Neues entstehen kann, und zwar gemeinsam entstehen kann, in einer Form, die für alle Sinn macht. Die Lust an der Spontaneität, die Freude am kreativen Improvisieren, das gemeinsame Spielen im Raum des Unbekannten – das sind Aspekte, die wir gerade heute in unseren oft als unsicher, wenig vorhersehbar und daher unplanbar, unkontrollierbar erlebten Zeiten, dringend brauchen. Denn mit einer solchen Haltung kann die Lebensqualität in einer Zeit des steten Wandels tatsächlich steigen. Und das wollen wir ja eigentlich alle: Ein gutes, freudvolles Leben, unter allen Umständen. Eine Haltung des gelebten Jazz, als spontane Freude am kreativen, kunstfertigen, einzigartigen und im besten Fall nachhaltig wirksamen, weil die Regeln verändernden Problemlösen macht‘s möglich…

Interviewscript zu „Die Kunst der Improvisation: Zum Unterschied zwischen Genie und Pfusch“ in „Heute Mittag“ am 04.06.2017, ORF 2