Kampf und Kooperation
Wo liegt die Quelle des Friedens verborgen? Im Inneren des einzelnen. Und in der Funktionsweise von Systemen. Beginnen wir bei Zweiterem: Systeme, die auf Konkurrenz, Gewinnen, Profit oder Machtwachstum basieren, sind auf Kampf ausgelegt. Ok, ein sportlicher oder wissenschaftlicher Wettkampf kann auch zu Höchstleistungen anspornen. Aber die Grundhaltung bleibt: jeder gegen jeden. Diesen Systemen stehen jene gegenüber, die auf Kooperation, Aufbau und Erhalt gesunder Umwelten und fruchtbarer Umstände für alle, sowie auf Verantwortung fußen. Ver-Antwortung bedeutet dabei nicht die moralische Keule zu schwingen, lustfeindlich oder Besserwisser vom Dienst zu sein. Verantwortung meint, sich für das Suchen, Finden und Implementieren von Antworten auf drängende Herausforderungen zuständig zu fühlen. Derartige Systeme brauchen ein Miteinander.
Krieg und Frieden
Sowohl kampfbasierte Systeme als auf Kooperation ausgelegten Systeme können für sich, in sich funktionieren. Sie können eine gewisse Stabilität bieten und Überleben sichern. Sie können vielleicht auch eine Zeit lang nebeneinander, allerdings kaum miteinander funktionieren. Denn sie gehen mit Problemen unterschiedlich um: Kontrolle, Eigennutzen und Unterwerfung aller anderen auf der einen Seite – Analyse, Mitverantwortung und gemeinsames Handeln auf der anderen. Auch die Erlebensqualität für Menschen, die in und nach den Spielregeln der jeweiligen Systeme leben, unterscheidet sich gewaltig: Gewaltausübung macht den Unterschied.
Mut und Stille
Hier kommt die Stille ins Spiel. Und der innere Friede. Sich gewalttätigen Systemen zu widersetzen kann auf verschiedene Weisen geschehen. Mit buchstäblichen Bomben und Granaten – oder mit stillem Widerstand, mit leiser Diplomatie und „unblutigen“ Mitteln wie finanziellen Repressalien. Wer zur Stille bereit und zum inneren Frieden geneigt ist, wird freiwillig innehalten und gewaltarme oder gewaltfreie Lösungen suchen. Den anderen, jenen, die auf Kampf gepolt sind, müssen jedoch diese „gewalt-alternativen“ Daumenschrauben derart weh tun, dass ein Ende von Kampfhandlungen weniger schmerzhaft und vielleicht sogar profitabler wirkt als das Aufrechterhalten derselben.
Ist Friede käuflich?
Kann man Frieden kaufen? Die wirtschaftliche Verflechtung Europas war der Weg des Friedens nach dem zweiten Weltkrieg. Bis die Wirtschaft anfing zu wackeln (Stichwort Finanz- und Wirtschaftskrise ab 2007) und sich die Frage stellte: Gibt es ein gemeinsames Europa, das über wirtschaftliches Wohlergehen hinaus denkt und handelt? Wollen EuropäerInnen einen gemeinsamen Lebensraum der gemeinsamen Werte? Die Herausforderungen gemeinsamen humanitären Handelns plagen diese Frage nach einer Wahl zwischen Gegen- und Miteinander in Europa seit der Flüchtlingsstrom ab 2015 die Schwächen eines rein wirtschaftsbasierten Friedens aufdeckt. Unterm Strich bleibt die Nutzenfrage: Was haben wir vom friedlichen Miteinander mehr als vom gewalttätigen Gegeneinander (Nichts-Tun ist in humanitären Fragen gewalttätig!)? Kann man Menschen, die auf Eigennutz, Überleben und Kampf gepolt sind, die durch Autokratie, Patriarchat, Hierarchie, Gewalt aller Art hindurch zu überleben gelernt haben, die sich entweder als Gewalttäter oder Mitläufer, als Ignoranten oder Opfer mit dem Kampf „arrangiert“ haben, denn von einer gelingenden friedfertigen Gesellschaft überzeugen – ohne, dass eine solche Idee naiv wirkt, lebensfremd, irreal?
Angst und Vertrauen
Was im Kern kriegerischer Handlungen liegt, mag komplex wirken, lässt sich aber wohl auf einen Schlüsselfaktor zurückführen: Angst. Individuelle wie systemisch verankerte Angst. Der einzelne Kriegführende hat Angst um sein Überleben, um das Überleben, dessen, was ihm wichtig ist, um das Bild, das er von sich und der Welt hat. Diese Ängste müssen keine realen Gründe haben, sie bieten aber den Nährboden für die Gestaltung beängstigender Umstände und Erlebnisse. Angst und Gewalt gehen Hand in Hand. Vertrauen und Verantwortung ebenso. In und für sich selbst, in und für andere. Angst geht mit Lärm einher, mit Hyperaktivität. Vertrauen mit Ruhe, mit Stille. Aus dem Stress der Angst entstehen gewaltige Probleme. In der vertrauensvollen Entspannung finden sich lebens- und liebenswerte Lösungen. Aggressoren zu entspannen, bevor profitable und werthaltige Lösungen entwickelt werden, kann helfen. Vertrauenswürdige Handelnde sind dabei der Schlüssel. Ohne menschliche Glaubwürdigkeit der VerhandlungspartnerInnen braucht eine friedliche Lösung verschiedene Orte und Taten, die einer Phase oder einem Zustand der Stille entspringen: neutrale Intervention, neue Player, intensive Reflexion, inklusive Visionen.
Aus der Stille in die Welt
Aus der Sille springt das „Anders“, ihr entstammt das „Mögliche“. Manche beten laut, andere treten leise, um in die Stille zu gelangen. Unsere Zeit braucht alle Wege, die in jene friedvolle Stille führen. Unsere Zeit braucht stille Zonen, die mit einer Fülle möglicher Lösungen schwanger gehen. Tauchen wir ein in den tonlosen Raum, tauchen wir auf aus dem wortlosen Grauen.