The Silence of the Times
Immer is was, meinte schon die ob ihrer seltenen, dafür umso treffenderen Wortspenden berühmte Hausperle meiner Grossmutter. Und genau so ist es. Die Zeiten werden schlicht nicht besser, die gefühlte Aussicht: beständig abwärts. Ein Katastrophenszenario schmiegt sich an die nächste, nüchtern betrachtet trotzdem nach Niedergang des Abendlandes riechende Entwicklung. Immer is was. Nicht nur die im Dauerfeuer üble Nachrichten verlautbarende mediale Tiefdruckatmosphäre schreit, auch der Tenor im Netz flüstert zwischen Katzenbildern und Coffeemaker-SloMo-Videos: Mir schwant Übles. Das Unterbewusstsein musste sich schon seit geraumer Zeit mit diesem widerlich klebrigen, der Halbwertszeit nuklearen Abfalls gleichenden Bedrohungsgefühl Traumgefechte liefern. Teenage Angst mutiert seit dem Krieg, der Inflation und der Energiekrise zu Global Paranoia. Zu Recht? Ehrlich gesagt, ich weiß es nicht.
Ich wünsche mir, dass mal kurz (gern auch etwas länger) die Zeit stillsteht. Dass sich das Rad nicht immer weiterdreht. Dass sich das Schicksal nicht noch mehr verdichtet, dass der Wahnsinn unserer Zeit mehr einer Warnung gleicht, denn in Richtung The End zeigt.
Im Wahnsinn liegen ja der Wahn und der Sinn. Im Wahn finden manche heutzutage durchaus einen attraktiven Weg: Jene, die glauben, sich eine andere Realität wählen zu können, etwa durch hedonistische Flucht in den Eskapismus ihrer Wahl (nach dem Motto Sex, Drugs und Serien), durch nahezu bewundernswerte Ignoranz (Urlaubspläne machen wie immer) oder durch das Kreuzchen am Wahlzettel bei einer jener Parteien, die eine himmelblaue Zukunft ohne realistischen Plan dorthin versprechen. Flucht, Ignoranz und Kampfwahlstimmung verleihen einer ehrenhaften Anwandlung, nämlich der Wirklichkeit trotz allen Wahnsinns ein positives Lebensgefühl abringen zu wollen, durchaus eine Art von Sinn, weil eine andere sinnliche Qualität des „in der Welt zu dieser Zeit-Seins“. Mir wäre allerdings lieber, wenn der Wahnsinn unserer Zeit anstatt zu wahnhaften Kopf in den Sand-Aktionen, zur sinnvollen Evolution beitragen würde, also zu Entscheidungen führen könnte, die die Überlebenssicherheit, die Lebensqualität, die globale Einigung nachhaltig voranbringen.
Überblick, Vogelperspektive, Zeitlosigkeit: Generalist*innen gesucht
Wo ist der analytische Blick aufs Große Ganze unserer Zeit? Ein Blick, der die Krisenszenarien schonungslos und punktgenau beim Namen nennt und ein logisch nachvollziehbares Bild der Interkonnektivität derselben formuliert, das in seiner Gesamtheit zuallererst Sinn macht, statt Angst und Wahn zu schüren? Betroffenheit: ja. Verständnis: ja. Verantwortung: ja. Diffuses Gefühl von Damoklesschwert und entsprechende Ersatzhandlungen: nein, Danke.
Dass Klima, Krieg, Energie, Ressourcen, Inflation, Lieferketten, Migration, Rechtsruck etc. ihre Gründe haben und in ihrer Existenz aufeinander in unterschiedlichen Zusammenhängen einwirken ist klar. Dass es nun gemeinsam an strategisch wirksamen Stellschrauben (wohl eher riesigen Lenkrädern) zu drehen gilt, durch die der in seiner Vernetzung massiv gewordene Abwärtstrend verlangsamt – oder gar umgekehrt – wird, ist vielen scheinbar weniger klar. Vor allem, was das für systemischen Wandel, für individuelles Umdenken bedeutet und für politischen Willen bedarf. Die Menschheit will nicht sehen, denn wenn sie hinsieht befürchtet ein Gutteil, die Apokalypse zu erkennen. Es fehlt an einer großen, wirklichkeitskonformen und positiven Zielformulierung von Wo soll uns das alles hinführen?. Übler- und üblicherweise folgen auf die Frage Wo soll uns das alles bloß hinführen? beklommenes Schweigen und beklemmende Dystopien des Zerfalls, die sich wie von selbst vor die innere Mattscheibe manifestieren. Sie schwimmen dort im panik-vorhallenden Stillen umher, schwirren um uns herum, planschen vergnügt im Meer von Immer is was.
Apokalypse versus Hoffnungsschimmer
Kerzen und Dosenfutter mal kurz beiseitegelassen, Plan B für den Winter (Thermowäsche, Haube, fingerlose Handschuhe fürs Home Office bei 15 Grad) zum Trotz: Möge sich das Meer der negativen Erwartungen in den Köpfen einiger öffentlich wahrnehmbarer menschlicher Leuchttürme teilen und mit diesen ein, wenn schon nicht sonnenbestrahlter, so doch realistisch hoffnungsschimmernder Weg freigegeben werden, den man gehen -und wählen- kann!
Der Überlebenskampf kann uns heute zum dritten Weltkrieg führen, zu 2 Wochen Blackout oder zur Bildung der United Global Community. Was darf‘s denn sein, Gnä‘ Frau/Gnä‘ Herr?