Silver Sounds of Silence: 7

Living in the Meantime, Twilight rules the World

Stille muss sich weder auf Geräusche noch auf Gedanken beziehen. Die Stille im Kopf und die Stille im Raum sind bloß zwei gängigere Aspekte einer Vielzahl von Möglichkeiten, in diese eine seltsam erfüllende Leere zu finden, die sich jedes Mal aufs Neue und anders gestaltet als zuvor oder erwartet. In den Blogeinträgen 2022 dreht sich alles um naheliegende wie weniger bekannte Zugänge zu ebendiesem überraschend angenehmen Zustand, der nicht nur zu innerem Frieden, sondern auch in die Zu-Friedenheit führt: Etwa um sensory deprivation (den Entzug der Dauerbespielung aller Sinne), um den Zwischenraum hinter den Gedanken oder um den Weg des Heiligen Nichts-Tuns. Heute geht es um die Zeit als Tür zum Frieden, genauer gesagt um die wohl genutzte Zwischenzeit. Um das ereignislose, ergebnislose Warten. Um jene anstrengungslose Präsenz, die eher nebenbei geschieht als dass sie bewusst herbei-meditiert werden könnte.

Das Warten und das Wunder

Warten beim Zahnarzt, Warten an der Supermarktkasse, Warten an der Bushaltestelle. Warten zählt zu jenen ungewollten Nicht-Aktivitäten, die uns meist aufgezwungen werden, die unseren Tatendrang bremsen, die verhindern, dass wir etwas Unangenehmes endlich hinter uns bringen können oder die verursachen könnten, dass es zu spät für etwas Angenehmes sein wird. Warten ist ein wunderbares Übungsfeld um auszusteigen aus Er-Wartungen. Im Warten die Fülle des Seins einfach sein zu lassen ohne gedanklich, gefühlsmäßig oder tätlich einzugreifen, öffnet eine Tür zum Unbekannten. Wer sich auf das Warten einlässt gleitet in eine Art Parallel-Existenz, in der sich die gewohnte Welt in einer völlig frischen Farbpalette widerspiegelt, in der Menschen wie Aliens wirken (so sie das nicht soundso andauernd tun) und in der die Situationen, in denen man sich wiederfindet, irgendwie grotesk anmuten. Das Leben wird plötzlich seiner Selbstverständlichkeit beraubt, mit dem Zauberstaub des Neuen bezuckert, mit einer Art Magie durchdrungen erlebt, die das Wundern zum Normalzustand werden lässt. Das Wunder des Lebens begegnet uns ja sonst meist nur in Extremsituationen. Wenn wir einen Unfall oder eine schwere Krankheit überleben, wenn wir einen geliebten Menschen verlieren, wenn wir unvermutet eine körperliche oder geistige Höchstleistung vollbringen, wenn die Natur uns mit ihrer Gradiosität unvermutet den Atem raubt. Dabei wäre das Wunder des Lebens allzeit bereit für uns – ja, das Wunder wartet geradezu auf jeden von uns…

Im Wartehäuschen des Lebens

Es gibt eine Menge Menschen, die ExpertInnen des unzufriedenen Wartens sind. Die sogar nicht nur in gewissen Situationen, wie oben beschrieben etwa beim Zahnarzt, mehr oder wenig ungeduldig auf ein Ereignis oder Erlebnis warten, das sie abhaken können, um weiter voranzuschreiten, wohin auch immer. Sondern die sogar ihr halbes bis ganzes Leben in einer Art Dämmerzustand des Wartens verbringen. Die sich als Kind vom Leben Großes erhofften, die sich als Erwachsene von ihrer Beziehung, ihrem Job, ihren Kindern oder ihrem Alltag Größeres er-warteten. Statt das Wunder des Seins mit jedem Atemzug tief in sich einzusaugen, vegetieren sie eher in einem selbstgebauten Wartehäuschen ihres Lebens dahin – ein Wartehäuschen, an dem der Bus, der Zug, das Raumschiff des „wahren Lebens“ irgendwie niemals eintreffen. Für sie ist das Warten ein Dauerzustand geworden, der verhindert, dass sie jemals irgendwo begeistert einsteigen und willkommen von den anderen Reisenden irgendwo mitfahren würden, oder gar je ein Gefährt selbst steuern werden.

Warten auf das „echte“ Leben, so wie es „sein soll“, heißt: Warten auf den Tod. Nun bietet das Gewahrsein des Todes tatsächlich wiederum eine Tür in den immensen Zwischenraum des Lebenswunders, der sich eröffnet, sobald jede Erwartung ans Jetzt wegfällt. Doch wer es sich gemütlich im Wartehäuschen seines Lebens eingerichtet hat, für den bedeutet der Tod meist nur die Endstation, die -gerade weil man sich im Warten, im Leo, nicht in Bewegung befindet- soundso unerreichbar, wie nicht-existent erscheint. Das Warten hat also einen unfassbaren Vorteil: im Warten scheint man ewig ausharren zu können. Nur dass halt das Leben an einem vorbeizieht… Die ewig Wartenden argumentieren und handeln sich dabei den eigenen Dämmerzustand schön: Essen, Trinken, Spielen, Bingen aller Art. Die Wartezeit tot zu schlagen kann so entertainend sein. So verführerisch, dass sich der Alltag im Wartehäuschen in ein ewig rollendes Rad aus Geldverdienen und Belohnen verwandelt, in dem sich die Träume und Ängste von gestern in den Serien von heute wiederfinden.

Der Ausstieg wird zum Einstieg

Wie man also aus dem Wartehäuschen des Lebens heraustritt, lautet die alles entscheidende Frage. Durch Unterbrechung des Gewohnten, durch Konterkarieren des Er-Warteten, durch einen Schritt seitwärts, durch einen lustvollen oder zaghaften Hüpfer ins gänzlich Unbekannte. Durch eine Aus-Zeit vom Alltäglichen, durch ein Nicht-Befriedigen von Süchten, ein Innehalten im Suchen, ein Enthalten der Sehnsucht. Durch das Offenlassen der eigenen Wünsche, gerade wenn sie sich als ewig bunter Farbkasten sinnlicher Vergnügungen tarnen. Durch ein beobachtendes Wahrnehmen jener physisch-psychischen Leiden, die sich aus Gewohnheit als die eigene Identität verkleiden. Runter mit den Masken, hinter denen sich zu verstecken normal geworden ist. Runter mit dem Pflaster, das statt zu schützen nur verdeckt, was an die Luft will. Schluss mit dem So-Tun-Als-Ob, dem Es-Wird-Schon-Werden. In der Zwischenzeit, im Zwischenraum, im Inzwischen-Sein rauscht das Blut durch die Adern, klopft das Herz den Takt, vibriert das eigene Leben. Was dann? Nichts dann. Weil Alles und mehr auf einmal da.

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Silver Sounds of Silence: 6

Be aware of the Mind-Dog

Wer sind wir, wenn nicht die Geschichten, die wir uns über uns selbst und die Welt (denn wir brauchen auch Kontext, um uns verorten zu können) erzählen? Diese Geschichten, die sich ja meist schon im frühen Leben formen, wiederholen wir immer und immer wieder, während wir darauf warten, dass sie sich durch Ereignisse im Außen und durch Gefühle im Innen bewahrheiten.

Wer ist also das „Ich“, wenn die Stille den ewigen Narrator in uns aufmerksamkeitstechnisch auch nur für einen kurze Augenblick besiegt hat? In der Stille bleibt die Wahrnehmung – dessen, was ist. Identifizieren wir uns dann nicht mit dem, was ist, so bleiben wir Beobachter der inneren und äußeren Geschehnisse. Doch ist dieses Ziehenlassen des Einheitsempfindens von Beobachter und Beobachtetem eine ungesunde Distanzierung von der Realität oder hilfreiches Aufatmen vom Immergleichen? Finden wir mehr Sicherheit in Gewohnheiten, die uns in ihren Bann schlagen und unsere erlebte Wirklichkeit vorherbestimmen wollen, indem sie dieselbe auf Antworten auf unsere Erwartungen und mentale, wie emotionale Urteilsverkündungen einschränken? Oder finden wir vielmehr Freude – eine völlig andere Form von Sicherheit, weil vertrauensbasiert statt angstbedingt – im Unbestimmten, das sich von ganz allein, ohne unser aktives Zutun mit buntem Leben füllt?

Das Hirn ist ein Hund. Insofern, als dass es gut oder weniger gut dressiert ist, unsere Bedürfnisse zu verfolgen und zu versuchen, uns so weit an die Umstände anzupassen, dass uns keine Gefahr droht. Freiheit ist definitiv etwas anderes. Freiheit ist die Gewissheit, ein Hirn zu haben, auf das man sich verlassen kann, wenn man es braucht – und die Möglichkeit einfach nur wahrzunehmen, ohne dass das Hirn ständig so laut in die Stille rein funkt, dass die Bewusstheit vollkommen abgelenkt wird, in das sprichwörtliche Alice-in-Wonderland-Rabbit-Hole abtaucht und uns mitreißt in den nächsten Loop des Immergleichen, nur stets leicht anders.

Be aware of the Watch-Dog

Anstelle also auf die Stimme im Kopf zu hören oder das Gefühl im Bauch zum Kapitän unseres Erlebens zu machen, wäre es ganz im Sinne der freudvollen Stille sinnvoll, sich darauf zu konzentrieren, was wir wahrnehmen, was auch immer gerade da ist. Ohne zu bewerten, ohne zu kommentieren, ohne irgendetwas damit zu tun. Natürlich gibt es Situationen, in denen wir funktionieren oder aufs reine Überleben schauen müssen. Aber in der Zwischenzeit, in den vielen Zwischenzeiten – und das ist eine Menge Lebenszeit – könnten wir es uns leisten, aus dem Gewohnheits-Karussell auszusteigen. Der Wachhund in uns ist dann vielleicht immer noch da, argwöhnisch in der plötzlichen Ruhe (vor dem vermeintlichen Sturm) nach Gefahren witternd, uns in eine unsichere Gefühlsmixtur tauchend. Lassen wir ihn einfach mal von der Leine. Ein bisschen rumschnüffeln, Löcher graben, Stöckchen finden, sich im Gras wälzen. Vielleicht gelingt uns dies ein paar glückliche Momente lang.

Be aware of the Unawareness

Aber wie schnell kippen wir zurück in die alten Gewohnheiten, etwas „zu tun“, „zu erledigen“, „zu genießen“, uns „zu belohnen“ etc.? Stunden später „wachen“ wir dann vielleicht wieder auf, fragen uns, wo die Zeit hingekommen ist. Ist das nun der positive „Flow“ der Selbstvergessenheit, wie wir ihn in der Kreativität erfahren? Oder waren wir auf „Autopilot“ und haben Lebenszeit und Energie vergeudet? Müssen wir das denn bewerten?? Ja. Denn wir müssen anfangen, der Qualität des Erlebens einen Wert zu geben. Wer, wenn nicht wir selbst, bestimmt, wie wir unser Leben erleben?

Haben wir am Ende einer unbewusst erlebten Phase ein gutes Gefühl, sind entspannt, haben uns angenehm verausgabt, fühlen uns angeregt, inspiriert, bereichert, befriedet, liebevoll, erfüllt? Dann waren dies zuvor hochqualitative Momente gewesen. Natürlich geschehen nicht immer nur schöne Dinge im Leben. Was tun mit diesen? Sie sein lassen. Annehmen, was war, als das, was es war. Möglichst keine Geschichte daraus stricken, die uns selbst zum Strick wird. Self-Care übernehmen lassen, uns geben, was wir brauchen, um zu heilen, um zur Ruhe zu kommen, um Frieden zu finden. Ebenso kommen mitunter dunkle Dinge aus dem eigenen Wesen in der Stille, in der Pause vom Alltagsablenkungstrott, ans Licht des Bewusstseins, das sich dann wundert. So etwas wie Selbstvorwürfe, Kritik, Autoaggression (und/oder all das auch nach außen, auf andere hin gemünzt). Auch hier: Sehen, wahrnehmen, annehmen, atmen, nicht darauf reagieren, keine Geschichten draus machen, in die wir uns dann immer tiefer verwickeln. Nicht umsonst heißt es „Ent-Wicklung“.

Die Wahl zum simpel So-Sein wäre eigentlich so einfach und naheliegender als alles andere, das wir mit unserer Erlebniswelt anstellen können. Und doch wirkt diese Art der Stille von innerer und äußerer Dauerstimulation durch Geschichten, die wir uns und einander erzählen, für viele Menschen unerreichbar oder schlich unattraktiv. Weil wir nicht wissen, was dann geschieht, wenn die Geschichte zu Ende ist. Dabei entfaltet sich genau hier nichts anderes als das Wunder Leben in all seiner unendlichen Farbenvielfalt. Enjoy!

Seven Strange Synchronicities: 3

Suchen, finden, überwinden. Ich versuche meinen ersten Roman zu schreiben. 100 Seiten sind schon da. Doch ich stecke. Ich suche nach dem perfekten, den idealen Zustand, um in Freude, Frieden und Freiheit weiterzuschreiben. Stattdessen ernte ich Hoffnung, Angst, Erwartungen aller Art – und Warten. Ich sehe mir beim Warten zu. Ich warte auf den Moment, an dem mir die Inspiration einen festen Tritt in den Allerwertesten schenkt. Nicht, dass mir die Ideen fehlten, nein, das Skript mit den Ideen ist voll. Es geht ums Einbauen in den bestehenden Text, diesen zu erweitert, zu vervollkommnen, zu ergänzen und abzurunden. Jedenfalls, die Wahrheit ist: ich warte. Auf den richtigen Moment.

Der Moment, ich kenne ihn gut, ist da, wenn mich das Bedürfnis überkommt wie eine Welle. Als würde mein Wesen die Worte und Bilder unwillkürlich, ungebremst durch mich – jetzt fällt mir kein besseres Wort ein – auskotzen. Aber angenehm, oder zumindest befriedigend. Es schreibt sich dann durch mich. Was auch immer da raus will. Ich warte also darauf, dass es wieder soweit ist. Jeglicher Zeitplan ist dadurch bei Teufel. Oder wo dasjenige halt zu Hause ist, das mich dann überkommt, wenn‘s kommt.

Beim Warten habe ich verschiedene Rituale und Gewohnheiten entwickelt, die das Plötzliche, das Magische anlocken sollen. Indem ich mich soweit ablenke, entspanne, anderweitig beschäftige, dass ich die Muse – oder wer eben immer es ist, der sich da durch mein Wesen manifestiert – nicht durch einen „Erledigungsmodus“ verschrecke. Denn ich weiss: Offenheit muss sein. Wenn ich arbeite, dann verkriecht sich die Muse, zieht sich zurück wie eine Mimose. Was tue ich also, um offen zu sein und mich dennoch beim Warten von der Erwartung des Ankommens des Musen-Tritts abzulenken? Ich putze, koche, wasche, räume herum. Meine Wohnung profitiert eindeutig. Auch die Menschen rundherum, bilde ich mir ein. Ich gehe einkaufen, sehe den Schneeflocken beim Tanzen zu, den Wellen beim Springen. Ich höre Musik. Ich träume und sinniere, ohne irgendwo haften zu bleiben. Ich übergebe mich dem Fluss der Dinge. Und küsst mich die Muse deswegen? Mitnichten. Die Muse lacht mich aus. Oder ignoriert mich. Oder tut, was Musen halt so tun, wenn sie nicht am Küssen sind.

Seit gestern versuche ich daher mir ein Ritual zusammenzubasteln, damit ich nicht immer meine Wohnung malträtieren muss. Ein Ritual der Offenheit, des reinen Möglichkeitsraumes, des Vernichtens von Hoffnungen und Erwartungen. Eines, das ich durchführe, bevor ich mein Manuskript öffne. Ich denke da an etwas Stretchen, Atmen und meine Steeldrum spielen. Vielleicht eine Kerze dazu? Anyway. Es soll ein wirksames Experiment werden, mich vor dem Schreiben zu konzentrieren, frei zu werden. Und was passiert?

Ich öffne vor 10 Minuten mein aktuelles Morgen-Buch, ein Buch, aus dem ich in der Früh immer wieder mal eine Stelle lese, um mich aufs Sein einzustimmen. Und was steht da? Die Antwort auf meine Frage nach dem richtigen Zustand (ohne, dass ich zuvor überhaupt vermocht hatte, die Frage richtig zu formulieren): „Spontaneity is unattainable through techniques or forced concentration. Goal-orientation is superfluous, ambition and apprehension dispensable. Spontaneity is pure being, here and now”. Na super, kann ich mir meine Rituale an den Hut stecken. Nichts zu suchen, nichts zu finden, nichts festzuhalten, nichts abzuweisen, nichts. Und das Alles ist da. Ganz spontan. Wie es immer schon war.

Die Insel der Seligen, die Quelle des Schaffens, das Ankommen im Formen – sie alle „verstecken“ sich wohl stets in all ihrer Pracht direkt vor aller Augen. Weit näher als vermutet, unmittelbar da, wo man gerade ist, wenn man nichts tut oder will. Weder Greifen noch Begreifen nötig. Ein Mysterium, das sich der Kontrolle entzieht. Ein Zustand, der sich dem Erkennen verweigert, während er sich durch einen (her)aus-drückt. Ob das alles helfen wird, mein Buch fertigzustellen? Weiß ich nicht. Aber mir selbst, dem Sein und dem Werden nicht durch irgendeine Art von Ver-Suchen im Weg zu stehen, könnte ein würdiger Wegweiser sein…

Significant Soul Sample No 4: From Time to Timing

This time we’re not knowing

Because anything can be

Mystery

Is the new

Truth

While others are fighting

Over the one way to go

I know

There is no

Such thing as the answer

All is flowing

All-allowing

Step by step

Leading nowhere

Specific

Walking in the meanwhile

Ending up in real time

On and off

hopes and fears

Leaving us with question marks

Uncertainty’s the task

Facing our mask

Of everyday comfort

Scratching away

What does not belong

To us being

No meaning

Is left

Living in a mean world

We’re meant to leave

The world as it used to be

Behind

Before we walk

Into the sunshine

Of not knowing

And

This is the end

The only end, my friend

Surprising Salon Session No 11: On the Road Again

Die Welt ist nicht genug

Ich gestehe, ich bin ein Trekkie irgendwie. Damals, als das Fernsehen noch aus 2 Kanälen bestand und meine Kindheit in Schwarz Weiss abgespeichert wurde, da hatten abenteuerliche Figuren eine immense Anziehungskraft. Old Shatterhand war die erste dieser Verkörperungen vom großen Abenteuer, mit der ich mich identifizierte. Mann? Egal. Wilder Western? Ja bitte – bloss schön weit weg. Dort, woanders, war das Leben voller Aufregung, voll duftender Verlockung. Es waren sinn- und ehrenhaften Aufgaben, die zu weiten Reisen und unberechenbaren Kämpfen anspornten. Es waren auch zeitlich begrenzte, episodenhafte, heute würde man sagen: projektbezogene Aufgaben, die dem Suchen der Beteiligten eine situativ gültige Richtung gaben. Vor dem Hintergrund ihrer lebenslangen ungelösten Fragen, die sie überhaupt erst auf diesen, ihren Weg brachten. Vordergründig suchten sie dabei nichts anderes als Neues, Ungeahntes, Unerforschtes – sie wollten einfach immer nur das Richtige tun, je nach Anforderung des Momentes. Old Shatterhand, wie auch Cpt. James T. Kirk, war die eigene Welt nicht groß genug, es galt Neuland zu betreten und sich zu beweisen, nicht die Liebe zu finden. Warum ist aber gerade das Neuland so anziehend? Weil wir nicht wissen, was passieren wird. Weil wir uns auf uns verlassen müssen, um im Unbekannten zu überleben. Weil wir uns beweisen können, dass wir etwas schaffen, was garantiert noch niemals jemand vor uns jemals getan hat. Aber gibt es solche, fremde Welten auch hier bei uns – oder nur in der Literatur, im Film, im Kopfkino?

Alles außer irdisch

Wo beginnen die Spannung, der Spaß und das Spiel so richtig aufregend zu werden? Dort, wo die Grenzen der bekannten Welt endgültig überschritten werden. Weit jenseits des Rollenspiels, tief im Ernst des gefährlich unwissenden Überlebens. Zumindest theoretisch. Denn, seien wir uns ehrlich: Wer möchte denn wirklich Old Shatterhands oder Cpt. Kirks Leben führen? Beim einen keine Hygiene, Schlafen im harten, kalten Freien. Beim anderen ein Leben auf dem ewigselben Raumschiff mit den ewig selben Leuten. Bei beiden ständige Gefahren und niemals irgendwo ankommen.  Eigentlich ein unbequemes, unerfreuliches Leben, das vor Entbehrungen nur so strotzt. Doch was wirkt dann so stark auf uns? Ich behaupte es wirkt, dass beide Reisende sind, die ihr innerer Kompass auf Linie hält. Keine Regeln außer den eigenen, denen es zu folgen gilt. Doch die eigenen sind glasklar, die des moralisch integeren Freiheitsliebenden und des kreativ-kraftvollen Sternenflottenoffiziers. Klare Rollen mit eindeutigen Lebenswegen, die hier vorgelebt werden: Der ewige Abenteurer und Entdecker, der Held und Beschützer, Retter und nur gelegentlich Liebende – all das sind archetypische Grundfiguren, die uns in ihrer Reinheit und Eindeutigkeit ansprechen. Ideal im Selbstverständnis, konsequent in den Entscheidungen. Notfalls bis in den Tod für die eigenen Werte und Ansichten gehend. Alles für “das Richtige” riskierend. Doch Otto Normalbürger ist nun mal ein Irdischer, ein Mensch den die Komfortzone fest im Griff hat, der sich nicht allzusehr hinauslehnen will ins Unbekannte. Den der alltägliche Überlebenskampf schon fest genug im Griff hat. Da bleibt keine Überschussenergie ürbig, um noch mal schnell die Welt zu retten. Aber warum ist unser Überlebenskampf den um so viele unendliche Grade weniger spannend als jener der Helden und Heldinnen aus Star Trek und Co?

(Lass die) Fantasie los

Berechenbar, planbar, überschaubar, kontrollierbar, mit einem Quäntchen angenehmer Überraschung und vielen Glücksmomenten gewürzt – so haben wir’s gern. Nur in unseren Tagträumen sind wir Superstars, Helden und strahlende Ritter. Aber was brauchen wir, was bräuchten wir eigentlich, damit unser Alltag filmtauglich wird? Einen Zaubertrank, der uns unbesiegbar macht? Eine blaue Pille, die uns der Illusion beraubt, im Konsum Zufriedenheit zu finden? Von beiden etwas: Das Selbstvertrauen, dass egal was kommt, wir uns auf uns verlassen können, unseren Weg finden werden. Und den Mut, der Wirklichkeit ins Auge zu sehen, egal wie nackt, kalt und unwirklich sie auf uns wirkt. Um neue Wege zu gehen brauchen wir zum einen unseren inneren Kompass, das Wissen, was wir für wirklich wichtig halten, und zum anderen eine allumfassende Offenheit nach Außen hin, den Willen, das wahrzunehmen, was tatsächlich da ist und nicht was wir sehen wollen oder wovor wir uns zu fürchten glauben. Die knallharte Realität ist um unendliche Welten skurriler, als wir uns das auch nur ansatzweise vorstellen können. Und wir selbst sind um Äonen stabiler und heldenhafter wenn es darauf ankommt, als in unserer erwartungsvollen Sicherheitszone. Worauf warten wir denn dann noch? Auf geht’s. Oder? Hält uns vielleicht doch noch etwas fest? Ein “altes Leben”, das aufrechtzuerhalten wir uns verpflichtet fühlen?

Ein Leben jenseits der Rolle

Meine Identifikationsfigur bei “Next Generation” war Deanna Troi, der Schiffscounselor mit der verantwortungsvollen Fähigkeit, die Emotionen anderer lesen zu können. Irgendwie bin ich ihr, meinem fiktiven Rollenmodell, über die Zeit ähnlich geworden. Statt auf Raumschiffen wurde ich Berater für Firmen und Führungskräfte, ein kommunikativer Transformator für innere Konflikte und äußere Widerstände. Und jetzt? Wird es Zeit für neue Rollen und Aufgaben, Zeit für die “Next Dimension”. Und falls jemand unter Euch an der K(l)ippe steht und sich überlegt, das Altbekannte hinter sich zu lassen: Lassen wir uns nicht einengen durch all das, was bisher gut funktioniert hat. Lassen wir uns nicht einschüchtern durch all das, was noch nie irgendwohin geführt hat. Seien wir schlicht und einfach unendlich neugierig, wo uns unser Weg hinführen wird, wenn wir nur mehr unserem inneren roten Faden folgen. Das Abenteuer unseres Lebens wartet…

 

Surprising Salon Session 1: FLÜGEL, WERT & SCHÄTZUNG

Das Überraschungselement, mal 27

Da steht ein Trumm herum, das ich nicht wahr nehme, geschweige denn wert schätze. Es steht wie selbstverständlich, unbeachtet da – und ist doch ein Teil meiner Wirklichkeit. Ein Teil, der mich innerlich reich fühlen macht, ohne dass er mir bewusst ist.

Die Surprising Salon Sessions widmen sich dem Prozess der Umwandlung vom unbeachteten Stroh des Alltags in das durch das Licht der Bewusstheit erstrahlende Gold des Besonderen. Diese manchmal magisch anmutende Transformation wird in den kommenden 27 Blogbeiträgen von einem ganz speziellen Raum inspiriert, dem Raum, in dem ich diesen Blog verfasse. Dieser Raum und sein Inhalt sind mein Alltag. Jeder Blog in diesem Jahr verwandelt die unbetrachtet herum stehenden, liegenden, bloß da seienden Dinge in leuchtende Wesenheiten voll tieferer Bedeutung. Der Raum, wie jeder Raum, birgt Begleiter des Lebens, ungeahnte Möglichkeiten des Wohlgefühls, Quellen der Weisheit. Ganz nebenbei erfahren im Vorgang der intensiveren Betrachtung viele nur scheinbar ein-deutige Worte eine Frischzellenkur, ihre Bedeutung vermehrt sich und sie bilden auf 1 Mal eine VielZahl überraschender Perspektiven aus sich heraus. Den Anfang einer solchen räumlichen und wörtlichen Offen-Barung machen ein Ding namens „Flügel“ und das Wort wie die be-Deutungen von „Wertschätzung“…

 Wer Flügel hat, sieht

Da steht also dieses Trumm herum, in meinem Salon. Ich weiß nicht warum, ich weiß nicht woher. Alt, verstimmt und wohlgeformt, massiv und klobig. Wert-voll oder wert-los – wer weiß das schon.

Seit Generationen schon bewohnt es den „Salon“. Hier wohnen überhaupt so allerlei seltsam anmutende Dinge. Angespült vom Meer der Zeit. Alles, was mich beim Schreiben umspült, bringt die Aura seiner Zeit mit sich. Die Dinge sind einfach hier gestrandet, übriggeblieben, verschmäht oder für alle Ewigkeit geliehen, weil sie sonst nirgends hinpassen. Dinge aus den Strudeln der Lebenszeiten von Verwandten, Freunden und Bekannten haben hier ihr eigenes Auge des Zyklons der Zeitlosigkeit gefunden. Es ist still hier. Immer. Nur Einer war „schon immer da“. Der Flügel. Um ihn herum hat sich das Universum des Salons gebildet. Fällt sein Deckel herunter, knallt es urigst durch den Raum.

Die Gegenstände, die ich bewusst und extra für diesen Raum angeschafft habe, lassen sich an einem Finger abzählen. Alles andere passiert(e) diesem Raum und mir, als seinem Bewohner. Alles hier ist gebraucht, geschenkt, geblieben, hat seine eigene Geschichte. So richtig geschichtsneutral ist vielleicht nur der Computer, auf dem ich tippe. Er ist das Fenster zu den Geschichten in mir, zu der Geschichte, die ich in diesem Leben zu schreiben versuche. Aber er ist nicht das einzige Fenster. Nur das einzige, durch das es nicht zieht oder ab und zu herein regnet. Wenn ich aus dem Fenster blicke ist es, als könnten meine Gedanken fliegen. Und damit sind wir wieder bei ihm. Dem Flügel.

Ich schätze die alltäglichen Überraschungen, die dieser Raum bereit hält. Solange ich ihren Wert nicht sehe, ja, sie gar nicht wahr nehme, solange erfahren die Dinge keine Wert-Schätzung – und ebenso lange empfinde ich keine Dankbarkeit. Wert und Dank hängen zusammen. WERT existiert nicht an sich, sondern erst durch den Akt des SCHÄTZENS. Was eingeschätzt wurde und als Schatz betrachtet wird, gibt Grund für Dank. Er-Füllt uns. Reichtum und Fülle entstehen erst im Akt der Betrachtung, durch unsere Sicht auf die Dinge. Bist Du hungrig, schätzt Du Brot. Bist Du müde, schätzt Du Bett. Bist Du unzufrieden, schätzt Du Ablenkung. Bist Du aber wunschlos zufrieden, schätzt Du… Ja was denn? Das Unerreichte? Das Unerreichbare? Das, was noch nicht der Fall ist? Oder das, was der Fall ist. Das Alltägliche. Für selbstverständlich Erachtete. Im Unbewussten verankerte. Demokratie, Mütter, Heizung. Wir schätzen es erst, wenn es weg ist.

Das Schatzfinden

Aber was ist uns tatsächlich heilig, was ist ein richtiger „Schatz“? „My preciuos“ giert Gollum nach der Quelle seiner Sehnsucht. Was wir begehren hat einen offensichtlichen, uns bewussten Wert. Den Wert der in seine Abwesenheit hinein gelegten Begierde. Das Wert-Verleihen scheint ein selbstreferenzieller Zirkel zu sein – ein solcher Schatz-Wert weist auf beGierde.

Was hingegen immer schon da war, kann uns eine Quelle für geisterweiternde Denkbarkeit, für herzerwärmende Dankbarkeit, für dauerhafte Zufriedenheit, für tiefwurzelnde Sicherheit sein. Und werden. Im Gewahrwerden dessen, was IST, fällt die Last der Welt in sich zusammen. Im Gewahrwerden dessen, was ist, fällt der Druck der Getriebenen weg. Im Gewahrwerden, derer, die ihrerseits ihrer selbst und des Seins gewahr sind, fällt die knallharte Unausweichlichkeit der Einsamkeit in die weichen Arme der Sehenden.

Schätzungs-Weise

Wer sieht, der schätzt. Aber was ist das Geschätzte an der Wert-Schätzung? Es ist irgendwie nur ungenau erahnt. Wird ungefähr ein-geschätzt. Den Wert von etwas einschätzen bedeutet zunächst, ihn nicht genau zu wissen. Vielleicht sogar, sich seines Wertes überhaupt nicht bewusst zu sein. Im Zwischen-Raum zwischen Wert und Schätzung entsteht ein zusätzlicher Bedeutungshorizont, eine gewisse Ahnung. Die Ahnung eines Schatzes, der uns mit Reichtum und Dankbarkeit er-füllt.

Wenn wir Menschen wert-schätzen, dann legen wir in unsere Gefühle für sie ein gewisses Maß an positivem Wunschdenken, an wert-voll-machen hinein. Wir schätzen den Wert eines Menschen für uns – und die Welt ein. Was macht einen Menschen wert-voll? Bei einem Gegenstand wie dem Klavier scheint diese Frage einfach zu beantworten: Jemand ist gewillt mehr oder weniger dafür zu bezahlen. Je nach Seltenheit, Funktionsfähigkeit und Schönheit der Erhaltung. Aber sind wir Menschen ebenso leicht ein-zu-schätzen? Wahrscheinlich schon: Seltenheit im Sinne von wünschenswert herausragender Besonderheit (etwa große Talente oder strahlende Persönlichkeiten), gute Funktionsfähigkeit (in der Gesellschaft, im Beruf) oder die Schönheit des Körpers sind allemal Grunde, jemanden im Marktwert hoch einzuschätzen. Aber meinen wir diesen Marktwert, der etwa an der Beziehungsbörse gehandelt wird, wenn wir von wert-schätzen sprechen? Ich meine: nein.

Meiner Meinung nach verdienen Menschen mit einer positiven Einstellung dem Leben gegenüber, obwohl sie schon viele Schicksalsschläge überstanden haben, eine hohe Wert-Einschätzung. Menschen, die anderen offen und unvoreingenommen begegnen, egal, wer ihnen gegenübersteht, verdienen Wert-Schätzung. Und Menschen, die mit weisen, weil umsichtigen und nachhaltigen Entscheidungen dafür sorgen, dass es uns allen Stück für Stück etwas besser, friedlicher und aussichtsreicher geht, sollten einen hohen Stellen-Wert bekommen. Also etwa hohe Ämter und Stellen bekleiden. Wer vorbildhaft handelt, ohne sich darauf etwas einzubilden oder nach Anerkennung zu lechzen und wer es schafft, auf andere und auf sich selbst gut Acht zu geben, der ist ein Wert-voller Mensch.

Und wie kann man Wert-Schätzung zeigen? Lob, Anerkennung, Komplimente oder Geschenke sind natürlich mögliche Mittel zum Ausdruck von Dankbarkeit und Hoch-Achtung. Letztendlich ist aber keine Geste stärker als das zur Verfügung-Stellen von höchst wertvoller Lebens-Zeit und ungeteilter Aufmerksamkeit: Wer tatsächlich voll und ganz da ist, der zeigt ganz ein-deutig seine Wertschätzung. Und damit sage ich „Danke“ ans Klavier und die Unbekannten, die es hier gelassen haben.

Das Wert-Volle

Denn der Flügel hat mich darauf aufmerksam gemacht. Er steht hier einfach nur so rum. Durch die Brille des potenziellen Wiederverkäufers mag er wert-voll oder wert-los sein, doch das ist einerlei. Seine bloße Existenz ist eine stille Quelle reiner Freude – selbst wenn ich mir seines Daseins gar nicht bewusst bin. Es ist die Aura dieses Raumes, die er beeinflusst und bereichert. Die wiederum meine Gedanken beflügelt…

Legen wir das Bild des stummen Flügels auf die Menschen, die uns einfach so umgeben, die uns umspülen, umspielen, einfach da sind. Sie machen den Raum aus, die Atmosphäre in der wir uns fühlen. Sie selbst sind vielleicht nicht spektakulär. Ganz im Gegenteil, ihre Präsenz wirkt eher selbstverständlich. Der Alltag mit ihnen fließt vor sich und uns einfach so dahin. Und nur das Un-Übliche, Herausragende, Abwechslungsreiche, Fehlende fällt uns wirklich auf. Durch einen solchen Blickwinkel sind wir dazu verdammt, das Abwesende zu suchen, anstatt das Anwesende zu finden. Wir ersehnen den nächsten Kick während wir das Vorhandene vernachlässigen. Dabei ist es das Grundrauschen des Seienden, das die Ideen und Gefühle, den Körper und die Seele beflügelt. Ohne Luft kein Auftrieb, ohne Aufrieb kein Fliegen.

So will dieser Blog wie die kommenden 26 dem Alltag selbst Flügel verleihen. Indem wir der scheinbar selbstverständlichen Bedeutung des Begriffs Alltag eine Abfuhr erteilen. Denn kein Tag ist wie der andere, kein Mensch selbstverständlich, das Leben ein Wunder, jeder Atemzug eine Bewegung des Unwahrscheinlichen selbst. Das All liegt in jedem Tag. Sehen wir, so wachsen Flügel.

 

DISCOVENTURE

Secret Success Story No 21 – über das Abenteuer des Entdeckens

Der Ruf der Ferne

Manche hören ihn, den Ruf der Ferne. Manche folgen ihm. Vor allem jene ohne Verpflichtungen oder jene, die von Berufs wegen der Ferne verpflichtet sind. Manch andere hören ihn nicht nur nicht, für sie liegt die Ferne gänzlich jenseits ihrer Lebenswelt. Für solche mag schon der angrenzende Bezirk oder auch die Nachbarwohnung zu weit weg wirken, als sie erforschen zu wollen. Dritte wiederum begeben sich in der Ferne in Ressorts, die wie ein besseres Zuhause funktionieren – all inclusive, abzüglich Kochen, Putzen und Kinder – wenn auch das Wetter besser und die Umgebung sowie Shoppinggelegenheiten andere sind.

Die Welt ist ein Dorf

Wo liegt überhaupt die Ferne, jenes fremde und verlockende Abenteuerland, das es zu entdecken gilt, so man denn überhaupt etwas ent-decken möchte? Ist nicht bereits die ganze Welt erschlossen, alle Lebewesen gezählt und katalogisiert, alle Landmassen vermessen? Zugegeben, in der tiefsten Tiefe der Meere gibt es teils noch Unentdecktes, überraschend anders aussehenden Schildkröten werden immer noch neue Namen verliehen.  Ähnlich wie rund um die kleinsten Teilchen der Physik noch ungelüftete Geheimnisse schwirren oder der große Gesamtzusammenhang des Universums, sein Entstehen, sein Enden, seine Enden und die Einheit seines Kräftespiels, noch fehlen. Aber die sichtbare Welt, oberhalb des Meeresspiegels? Da gibt es kaum echtes Neuland zu finden, überall war schon wer, alles ist mehr oder weniger altbekannt. Kann sogar über Satelliten angesteuert und vergrößert werden. In Echtzeit. Scheinbar zumindest erschließt sich uns die ganze Welt auf Knopfdruck. Und das Abenteuer „Expedition“ nimmt heute andere Formen an als noch vor 100 Jahren.

Moderne Entdeckungsreisen

Wir entdecken heute kaum mehr die Ferne, sondern vielmehr unsere eigenen Grenzen. Wir laufen Marathon, biken extrem mountain. Die Generation 50+ und fängt an zu Surfen oder einen Kampfsport auszuüben. Wir entdecken aber nicht nur unsere körperlichen Grenzen – um sie zu erweitern, das Leben zu verlängern, das Unmögliche zum Machbaren zu degradieren. Wir erforschen auch unsere psychischen Weiten und Tiefen mit Hilfe von Therapeuten, wir entdecken unser Verhalten und seine Limits oder Optionen mit Hilfe von Coaches. Wir reisen mit Schamanen zu den Ahnen, oder mit Astrologen zu den Sternen. Und überall finden wir: uns selbst. Oder Aspekte unserer selbst, Splitter unseres eigenen Gesamtzusammenhanges. Wir haben Erfolgserlebnisse, wenn wir uns tränenreich mit unserem inneren Kind versöhnen und wenn wir uns im Rausch des Naturbezwingens unseren Endorphinen ausliefern. Wir haben „Durchbrüche“, wenn wir verstehen, wie wir funktionieren und warum, indem wir unsere Familiengeschichten nicht nur durchleuchten, sondern etwa in systemischen Aufstellungen sogar weit in der Vergangenheit vor uns Vergrabenes am eigenen Körper durchleben.

Wir lernen uns selbst kennen, bereisen die bedrohlich und verlockend unbekannten Flecken unseres Lebens, unseres Wesens, unserer Vergangenheit. Nicht selten mündet die Reise in ein Gefühl der Ernüchterung. Der Weg dorthin, in uns hinein, ist vielleicht spannend, aufregend, intensiv und erlebnisreich. Aber kann das Ziel, sich selbst ein Stück weit besser zu kennen, tatsächlich als Erfolg verbucht werden? Ist die Selbst-Erkenntnis nicht vielmehr Startpunkt und Endpunkt einer jeden Reise? Können wir diesbezüglich überhaupt jemals ans Ziel kommen? Sind die in diesem Bereich wahren Erfolg-Reichen nicht vielmehr die diversen Reiseleiter zum „Ich“, die in den unzähligen Disziplinen ihr Geleit, ihre Landkarten – ihre Versionen moderner Schatzsuche – anbieten? Therapie, Coaching, Training, Ernährungsberatung, Energiearbeit, Feng Shiu – irgendwann hat man dann alles, was einen anspricht, ausprobiert, kennt sich und die Pauschalreisen zur Erkenntnis und zum besseren, runderen Selbst-Erleben gut genug und fragt sich: Und wohin jetzt?

Das Unwirkliche als Neuland

Was haben denn die Außen- und die Innenwelt noch zu bieten, was das Virtuelle nicht besser, schöner, aufregender vermitteln könnte? Wir orientieren uns heute selten am Sonnenstand (außer um zu entscheiden, was wir anziehen oder welcher Freizeitbeschäftigung wir nachgehen). Wir sondieren die Lage der Welt eher am (elektronischen) Zeitungsstand, entdecken in den Digitalen News, was unsere Welt bewegt. Wir bewegen uns selbst in der Welt, ohne uns selbst zu bewegen. Der Screen und seine virtuelle Wirklichkeit – unser Einstiegstor in alternative Realitäten, in denen wir uns und einander oft näher sind, uns intensiver spüren, als im schalen Dunstkreis unserer alten „wirklichen“ raumzeitlichen Umgebung. Erfolg hat, wer viele friends hat. Erfolgreich ist, wer geliked wird. Noch erfolgreicher ist, wer geshared wird.

Virtuell Erfolgreich…

so könnten sich auch jene nennen, die auf ihrem Bankkonto viele Zahlen sehen (ohne Minus davor). Zahlen im Äther der digitalen Welt, Zahlen ohne Realitätsbezug, Zahlen mit denen spekuliert wird – auf den Zusammenbruch von Staaten oder den Hunger der Welt (auch auf Luxusgüter). Zahlen, die man versucht zu vermehren, indem auf die Unwahrscheinlichkeit einer Katastrophe gewettet wird. Denn letztendlich ist Spekulation nichts anderes als eine elaborierte Form, auf das beste „Pferd“ zu setzen. Virtuelles Neuland, auf das sich wetten lässt zu erfinden, ist so ertragreich, wie reale Personen, Institutionen oder Staaten, die man für irgendetwas klagen kann. Am besten auf etwas, das neue oder bisher ungenutzte Rechtslücken ermöglichen, denn dann kann man Sammelklagen veranstalten oder Präzedenzfälle für Folgeklagen schaffen – und es kennt sich niemand damit so richtig aus. Um wirkliche Gerechtigkeit geht es hierbei selten. Profit ist das Wort des virtuellen Erfolges. Von Big Data, Cookies und Apps als Goldesel und das potenziell Eselhafte an uns Usern will ich jetzt gar nicht anfangen…

Im Virtuellen liegt reales Geld. Start up-Millionäre sind die neuen Hoffnungsträger, sie sind der Stoff, aus dem postpostmoderne Heldenstories gemacht sind: Vom Tellerwäscher zum Millionär? Au contraire! Vom Studenten zum Netzwerk-Giganten, zur Suchmaschinen-Legende, zum eShopping-Megalithen. Das Abenteuer im Algorithmus-Land, der Entdecker wird zum Schöpfer ungeahnter Optionen, der nerdige Programmierer der Vergangenheit zum sexy Supermodel der Zukunft.

Das Locken der Sirene

Virtualität oder Wirklichkeit: es gefällt de facto heute dasselbe wie damals. Was wir nicht sind, aber gerne wären. Leute, die tun was sie wollen und gut dabei aussehen? Eher weniger. Eher schon Leute, die durchschnittlich aussehen – so wie wir oder wenn geht etwas weniger attraktiv – und mehr (wörtlich) erreichen als irgendjemand sich auch nur erträumen kann. Hoffentlich tun sie dabei, was sie wollen, öfter aber wahrscheinlich tun sie etwas, das es braucht, um wahr-genommen zu werden. Die wenigsten schaffen das von ganz alleine. Irgendwer Potenter muss auf den Visions-Zug aufspringen und das Ganze in die Verwirklichung hinein finanzieren, damit es abhebt. Was tut ein solcher „Business Angel“ eigentlich? Er sucht, erkennt und füttert diese Hoffnungsträger, die nicht so recht wissen, wie der Hase in der Wirtschaftswildnis unbehelligt hoppelt, ohne zu früh abgeschossen oder von anderen gefressen zu werden. Er trainiert die Rennpferde der Zukunft, bereitet sie auf die Rennbahnen der Gegenwart vor, schützt sie vor Fallstricken und rechnet sich und seinen Investorenfreunden den nächsten Lottosechser und die passende Strategie der Risikostreuung aus. Berechenbare Unberechenbarkeit? Spiele der Erwachsenen! Warum nehmen wir sie bloß so ernst? Was genau ist es, das wir uns und anderen durch virtuelles Gewinnspielen beweisen wollen? Worin besteht der Unterschied zum bloßen Computerspielen? Suchtpotenzial scheinen ja alle Arten virtueller Tätigkeiten zu bieten: Das Geschäftemachen, das Spielen, das Usen

Die Verheißungen des außergewöhnlich Alltäglichen

Ich behaupte, es ist das Machtgefühl, die Welt auf einen Knopfdruck hin verändern zu können. Via youtube Millionen von Leuten erreichen zu können, ohne landläufige Wege wie Expertentum, Reichtum, Heldentum oder irgendein anderes Hervortun beschreiten zu müssen. Eine Parallelwelt, in der jeder digital inhabitant die gleiche Chance hat. Das zeigen uns etwa die unzähligen unsäglichen Katzenclips, die Hundertausende von Malen geliked, geshared und wer-weiss-wie-unendlich-oft angesehen werden. Kein Newswert im klassischen Sinn: nicht neu, nicht prominent, nicht katastrophal, nicht relevant – aber dennoch offenbar weltbewegend, weltumspannend. Infos, die um die (facebook-)Welt gehen. Irgendwie ein Wunder. Das Wunder des außergewöhnlich Alltäglichen. Der schwarze Humor der Realität.

Schön ist, was gefällt

Und am besten gefällt uns das außergewöhnlich überdurchschnittlich Normale. Das „wie es eigentlich sein sollte“: großartig einzigartig, überraschend einfach, das Genie von nebenan, das aber so in der Realität nur selten vorkommt. Wir bewundern das Ideal, das tatsächlich gelebt wird. Der Goldene Schnitt, die Symmetrie, das Ebenmäßige – alles Ausdrucksformen des Schönen. Wie wollen das Schöne entdecken, in uns, in anderen. Es zieht uns magisch an, als wäre sein Anblick, sein Besitz Seinsgrund genug. Schöne Menschen wissen dies, sie können nicht unbemerkt bleiben – sie sind die wandelnde Einladung zu einem Abenteuer, und sei es nur eines im Kopf des Betrachters. Nähe suchen und Besitzen-Wollen: Zeichen der Anziehungskraft der Ästhetik – im Sinne des überdurchschnittlich Durchschnittlichen und daher Schönen.

Der Jagd nach dem Schönen Abenteuer oder dem Schönen Leben gegenüber steht der Schutz, den die Anästhetik, das Nicht-Wahrnehmen, Nicht-Spüren, bietet. Wir schützen uns vor dem Hässlichen, dem Beängstigenden, dem Drohenden und Dunklen, indem wir unsere Sinne desensibilisieren, unsere Wahrnehmung verengen, unser Wahrnehmungsvermögen limitieren. Viele stolpern über die Kunst nichts mitzubekommen, nicht zu empfinden, nicht mitzufühlen, nicht zuzuhören, nicht zu verstehen, nicht zu sehen aus Versehen, ohne dass sie sich bewusst dazu entscheiden. Traumatisierende Erfahrungen werden verdrängt, Altes, scheinbar Sicheres wird zelebriert, hochgehalten , wiederholt – um sich vor dem bedrohlichen Neuen zu schützen. Angst nimmt die Sicht auf Möglichkeiten. Angst und Abenteuer passen nicht zusammen. Hierin liegt der fruchtbare Boden für all die Reiseleiter ins Ich-Land.

Angst essen Seele auf

Um hingegen ins Schlaraffenland zu gelangen, müsste sich die pure Abenteuerlust, der reine Wille nach mehr (anders, weiter, tiefer, höher, bunter) durch den Berg des Risikos fressen. Dieser Berg wird bewacht von der Angst. Die Angst zu verlieren, die Angst zu versagen, die Angst zu vergehen – sie lässt den Berg des Risikos als unerklimmbar, unbezwingbar, unverrückbar erstrahlen. So wirkt der Berg, der uns die Sicht aufs Neuland, aufs Andersland verstellt, zwar sicherheitsspendend altbekannt und vielleicht sogar in seiner Stabilität und Masse ehrfurchtgebietend schön. Aber das nunmehr Unerreichbare dahinter wird zugleich zum Hässlichen verdammt, ins hoffnungslos Ausgeblendete wegradiert. Dies ist ein höchst nützlicher Schutzmechanismus. Angst schafft unbestreitbar Bedrohliches und mögliche Alternativen, auch alternative Sichtweisen werden ausgeblendet, da der Berg des Risikos überlebensgroß erscheint. Es gibt dann nur noch ein Diesseits des Berges. Oder eine Vorstellung vom völligen Jenseits, manifestiert durch das Virtuelle oder auch den Glauben an ein Leben „danach“.

Das gelobte Neuland…

…liegt hingegen Jenseits und Diesseits zugleich. Mit dem Begriff der Aisthetik (geprägt durch z.B. Wolfgang Welsch) eröffnet sich uns letztendlich das Sesamkorn, das sich eben noch als unbezwingbarer Berg getarnt hatte. Und der Tunnelblick stülpt seine Grenzen hinaus, lässt uns eins werden mit dem Berg, führt uns ein ins Abenteuerland. Es sind unsere Sinne, wenn sie nicht überreizt, zugedeckt, eingelullt und abgelenkt werden, die uns die feinen Nuancen jener, dieser stets präsenten Zwischenwelt vermitteln. Es ist die Stille zwischen den Gedanken, die uns die Weite des Universums zugänglich macht. Es ist der Blick in die unendliche Schwärze der Pupille unseres Gegenübers, der uns – hinter jeder Spiegelung unserer selbst – Allverbundenheit erfahren lässt. Das Unwahrscheinliche, das Nochniedagewesene, das Unbeschreibliche, das Abenteuer liegt nicht nur vor unserer Nase. Es liegt viel mehr hinter ihr, zwischen unseren Ohren und sieht durch unsere Augen. Nichts ist so wie es war, wenn wir anfangen zu sehen, wer wir im Sein werden. Welch unvergleichliches Abenteuer!

Und wo führt uns das letztendlich hin? Was ist der Fall, wenn nichts fix ist? Völlige Unsicherheit? Absolute Relativität? Ist das Leben tatsächlich ein unkalkulierbares Risiko? Oder gar komplettes Chaos? Antworten dazu nächste Woche wenn es um Orientierungsfähigkeit, Gestaltungsspielräume und das Etablieren von Strukturen im Chaos geht:

Success Story No 22: Chaosrules – Über die Ordnung in der Unordnung. Samstag, 31.10.2015, 10.00